Das Gütesiegel “Made in Germany” stand jahrzehntelang für ein unübertroffenes Erfolgsmodell: Exportorientierung, technologische Exzellenz und eine tiefe Integration in globale Lieferketten. Doch die Fundamente dieses Modells sind durch zwei seismische Schocks erschüttert worden – die durch Pandemie und Geopolitik ausgelöste Deglobalisierung und die tiefgreifende Energiekrise. Die deutsche Wirtschaft, insbesondere ihr industrielles Herz, steht vor der gewaltigsten Transformation seit Jahrzehnten. Es ist ein erzwungener Wandel, der über die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland entscheiden wird.
Die erste große Herausforderung ist die Neuordnung der globalen Lieferketten. Die extreme Abhängigkeit von einzelnen Ländern, allen voran China, als “Werkbank der Welt” hat sich als Achillesferse erwiesen. Lockdowns, Handelskonflikte und geopolitische Spannungen haben die Fragilität des “Just-in-Time”-Prinzips brutal offengelegt. Deutsche Unternehmen vollziehen daher eine strategische Kehrtwende. Statt ausschließlich auf die kostengünstigste Produktion zu setzen, stehen nun Resilienz und Versorgungssicherheit im Vordergrund. Konzepte wie “On-Shoring” (Rückverlagerung der Produktion ins Inland) oder “Friend-Shoring” (Verlagerung in politisch verbündete Länder) prägen die neuen Strategien. Dies führt zu massiven Investitionen in neue Produktionsstätten in Europa, Nordamerika oder befreundeten Staaten, was jedoch unweigerlich zu höheren Kosten führt und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit herausfordert.
Die zweite, noch existentiellere Herausforderung ist die Energiefrage. Die drastische Reduzierung der Gaslieferungen aus Russland hat der deutschen Industrie ihre Verwundbarkeit schonungslos vor Augen geführt. Energieintensive Branchen wie die Chemie-, Glas- oder Metallindustrie, die das Rückgrat des deutschen Mittelstands bilden, sahen sich mit explodierenden Kosten und der realen Gefahr von Produktionsstilllegungen konfrontiert. Dies hat der Energiewende eine neue, brutale Dringlichkeit verliehen. Der Ausbau erneuerbarer Energien wie Wind und Solar wird nun nicht mehr nur unter Klimaschutzaspekten, sondern als Gebot der nationalen Sicherheit vorangetrieben. Gleichzeitig wird mit Hochdruck in Zukunftstechnologien wie grünen Wasserstoff investiert, um eine kohlenstofffreie Industrieproduktion zu ermöglichen. Dieser Umbau erfordert gigantische Investitionen und stellt eine enorme Belastung dar, birgt aber auch die Chance für Deutschland, seine technologische Führungsposition auf dem Gebiet der grünen Technologien auszubauen.
Diese duale Krise stellt die Ikonen der deutschen Industrie vor immense Aufgaben. Die Automobilindustrie muss nicht nur den Wandel zur Elektromobilität bewältigen, sondern auch ihre Lieferketten für Batterien und Halbleiter komplett neu aufbauen, um die Abhängigkeit von Asien zu verringern. Der hochgelobte Maschinenbau muss seine Produkte für eine Welt konzipieren, in der Energieeffizienz und Nachhaltigkeit die entscheidenden Kaufargumente sind.
Es steht viel auf dem Spiel. Die Gefahr einer De-Industrialisierung, bei der Unternehmen aufgrund hoher Energie- und Arbeitskosten ihre Produktion dauerhaft ins Ausland verlagern, ist real. Doch im Wandel liegt auch eine Chance. Wenn es Deutschland gelingt, die Energiewende zu meistern und seine Industrie auf eine nachhaltige und resiliente Basis zu stellen, kann das Siegel “Made in Germany” eine neue Bedeutung erlangen: als Synonym für hochmoderne, umweltfreundliche und krisenfeste Technologie. Der Weg dorthin ist steinig und teuer, aber für die Zukunft des deutschen Wohlstands alternativlos.